Obwohl der Mensch von seiner Natur aus auf Beziehung ausgerichtet ist, hat jedermann auch seine eigenen „Macken“. Diese nicht zu verbergen, sondern offen zu leben macht den Menschen als Ganzes aus. Der Eigenbrötler (ursprünglich ein Mensch, der nur sein eigenes Brot isst) bezeichnet jenen Sonderling, welcher es sich nicht nehmen lässt, seinen Eigenheiten nachzugehen, unabhängig davon, was andere über ihn denken. Er verfügt über einen so starken Selbstwert, dass ihm das Gerede der Leute egal ist. Er steht zu seinen Marotten, liebt und lebt diese auf seine Weise. Das heißt nicht, dass ihm Beziehungen nicht wichtig wären. Im Gegenteil, er bringt sich in Beziehungen ein, als Ganzes, so wie er eben ist. Man kann auch mit einem Eigenbrötler einen Konsens finden! Es bedarf nur der Toleranz, jenen Eigenheiten Raum zu geben. Eigenheiten sind nicht zwingend auf eine Person zurückzuführen. Eigenheiten können auch bei Paaren oder Gruppen auftreten. So befanden meine Frau und ich schon, dass wir in manchen Dingen „eigen“ sind. Uns wurde bewusst, dass die gemeinsame Gestaltung des Alltags Eigenheiten als Paar schafft, die bei anderen nicht wahrzunehmen sind, aber einem als Paar wichtig erscheinen.
Schafft es ein Mensch bewusst den Eigenbrötler in ihm zu leben, so toleriert dieser im Regelfall auch die Macken seiner Mitmenschen. Diese Individualität macht das Leben bunt. Einheitsdenken und Einheitsstreben lässt die Menschen letztendlich grau und lebloser wirken. Es versteht sich von selbst, dass in diesem Beitrag von Marotten* geschrieben wird, welche keinem anderen Menschen schaden! (Anmerkung: Wenn jemand nur sein eigenes Brot isst, so schadet dies auch keinem anderen – deshalb die Begrifflichkeit „Eigenbrötler“.) Es liegt somit an der Toleranzfähigkeit eines jeden Menschen, ob diesem nun solche* Marotten stören oder nicht. Ich denke, ein bewusster Mensch lebt seinen Eigenbrötler und somit gelingt es ihm auch die Eigenheiten seiner Mitmenschen liebevoll anzunehmen und auch bei seinen Mitmenschen zu belassen. Es zeugt von wenig Selbstbewusstsein, wenn man Eigenheiten anderer Menschen nacheifern möchte. Eigenheiten zu leben bedeutet in der Tiefe das Eigene zu leben, also ohne Fremdbestimmung oder Manipulation Eigenes nach Außen zu tragen. Es ist somit der authentische Ausdruck des Persönlichen in die Umwelt hinaus. Ich kann mich noch gut an ein Seminar erinnern, in welchem ein Teilnehmer alles Gelernte zum Schluss vor der Gruppe umsetzen wollte. Er wirkte dann so künstlich, dass der Seminarleiter zu ihm sagte: „Bitte vergiss alles, was du die letzten Tage gelernt hast und gib dich so, wie du bist!“ Nur authentisches Auftreten, mit all unseren Eigenheiten, lässt wahre Begegnung zu, in welcher wir uns gemeinsam entwickeln können.
Helmut Wurdinger zum Junivollmond 2025